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Das Präsidium von Special Olympics Deutschland

05.02.2025

Politische Forderungen Special Olympics Deutschland

Auch 15 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesellschaft stark eingeschränkt. Es fehlen flächendeckend Teilhabestrukturen. So liegt beispielweise im Sport der Organisationsgrad von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung mit 8% deutlich unter dem Durchschnittswert von Menschen ohne Beeinträchtigung. Damit Teilhabe gelingen kann, braucht es ein breites Leistungs- und Unterstützungsnetzwerk, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten, die Schaffung von Angeboten und Strukturen sowie den Abbau von Barrieren.

Special Olympics Deutschland fordert vor diesem Hintergrund:

1. Selbstvertretung und Partizipation – Einbindung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in alle relevanten Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse


Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sind aktive Gestalter*innen der Gesellschaft und müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Interessen eigenständig durch die Einbindung in Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse, wie z.B. Gesetzgebungsverfahren, zu vertreten.

SOD fordert:

  • Menschen mit geistiger Beeinträchtigung müssen in die Vorbereitung, Erarbeitung und Evaluation von Gesetzgebungsverfahren, die ihre Lebenssituation betreffen, eingebunden werden.
  • SOD Athlet*innen sollen als Expert*innen in eigener Sache zu Anhörungen eingeladen werden. Ihre Bedarfe und Bedürfnisse werden zurzeit bei sport- und gesundheitspolitischen Themen nicht ausreichend berücksichtigt.
  • Schaffung von inklusiven Selbstvertretungsstrukturen. Vorhandene Möglichkeiten der Partizipation sind dahingehend zu überprüfen, ob sie inklusiver gestaltet werden können.
  • Damit dies gelingen kann, sind die Beteiligungsprozesse barrierefrei zu gestalten.

 

2. Soziale Teilhabe – Stärkung des Sports im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes


Sport ist ein gesellschaftlich wichtiger Aspekt der sozialen Teilhabe und häufig Motor der Inklusion über den Sport hinaus. Die UN-BRK erkennt den Wert des Sporttreibens für Menschen mit Beeinträchtigungen im Artikel 30 Absatz 5 ausdrücklich an und fordert die Vertragsstaaten auf, geeignete Maßnahmen für die Teilnahme am Sport von Menschen mit Beeinträchtigungen zu treffen.

Zurzeit findet der Sport, wenn überhaupt, primär in separierten Angeboten statt. Dies hängt damit zusammen, dass nicht ausreichend Leistungen und Unterstützungen zur Verfügung stehen, um ein bedarfsgerechtes und personenzentriertes Angebot auswählen zu können.

SOD fordert:

  • Stärkere Anerkennung und Förderung des Sports als zentraler Lebensbereich für selbstbestimmte und eigenverantwortliche Teilhabe vor Ort. Der Sport bietet dabei besondere Chancen für die Gestaltung eines inklusiven Sozialraums. Der Vereinssport ist zentraler Baustein für eine Kontinuität in Bezug auf die sozialer Teilhabe.
  • Evaluation und Weiterentwicklung des Bundesteilhabegesetzes im Bereich soziale Teilhabe: Aufnahme des Sports als Leistung zur sozialen Teilhabe (§76 Bundesteilhabegesetz)
  • Konkretisierung der Assistenzleistungen (§ 78 BTHG) zur eigenständigen Wahrnehmung von Sportangeboten.  Der UN Staatenbericht hat das Anrecht auf persönliche Assistenz im Sport unterstrichen. Regelungen, dass Assistenzleistungen primär aus dem privaten Umfeld zu erbringen sind, sind zu streichen.
  • Entwicklung von Mobilitätskonzepten, die den Bedürfnissen der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gerecht werden, haben höchste Priorität. Die fehlende Erreichbarkeit der Angebote ist zurzeit die größte Barriere. Anbieter von Sportangeboten benötigen in Ergänzung zu den individuellen Förderungen der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Unterstützungsleistungen.
  • Langfristige Absicherung und Förderung der im Rahmen der Special Olympics World Games Berlin 2023 entstandenen regionalen Netzwerke (#ZusammenInklusiv), um dauerhaft Teilhabestrukturen zu schaffen.
  • Die Stärkung und den Ausbau der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Bereich Sport (peer to peer Ansatz)

 

3. Bewegung und Sport als wichtiger Teil der beruflichen Rehabilitation und Persönlichkeitsentwicklung


Das Bundesteilhabegesetz sieht vor, dass Leistungen im Arbeitsbereich auch auf die Teilhabe an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit, zum Training motorischer Fähigkeiten und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie der Förderung von sozialer Teilhabe gerichtet sind. Bewegungs- und Sportangebote bieten hierzu ein vielfältiges, wirkungsvolles und nachhaltiges Maßnahmenbündel zur Förderung der beruflichen Rehabilitation sowie Stärkung der Persönlichkeit.

SOD fordert:

  • Stärkung der Bewegungs- und Sportförderung in den Feldern der beruflichen und medizinischen Rehabilitation zur Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit
  • Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zur Förderung der Motorik in den Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen und Berücksichtigung der Leistungen im Bereich Motorik, Bewegung und Sport durch die Kostenträger. 
  • Bewegung und Sport als fester Bestandteil der arbeitsbegleitenden Maßnahmen
  • Die Teilnahme an Special Olympics Veranstaltungen stärkt die Selbstwirksamkeit der Athlet*innen. Es sind Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Athlet*innen, auch während der Arbeitszeit, die Angebote wahrnehmen können.

 

4. Schaffung einer barrierefreien Infrastruktur als Grundvoraussetzung für Teilhabe


Grundvoraussetzung für die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist die Schaffung eines barrierefreien Umfeldes. Dabei müssen die Bedarfe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung stärker mitberücksichtigt werden. Dies trifft insbesondere auf kommunikative Barrieren, die Schaffung von Orientierungssystemen, barrierefreie Informations- und Bezahlsysteme sowie die Schaffung von Assistenzleistungen vor Ort zu.

SOD fordert:

  • Investitionen in Neubau sowie Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen von Sportstätten, damit eine barrierefreie Infrastruktur entsteht.
  • Schaffung eines barrierefreien ÖPNV sowie von Mobilitätskonzepten, damit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen zu den Angeboten gelangen
  • Barrierefreie Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, um für Angebote aufmerksam zu machen
  • Informationen in Leichter Sprache

 

5. Umsetzung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe 


Die Grundlage für ein aktives sportliches Leben wird in der Kindheit und Jugend gelegt. Kitas, Schulen und außerschulische Angebote bieten einen unverzichtbaren Zugang zum Sport und der Persönlichkeitsentwicklung. Gerade inklusive außerschulische Angebote sind grundlegend für die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung sowie die Teilhabe am inklusiven Sozialraum.

SOD fordert:

  • Schnelle Ausgestaltung eines inklusiven Kinder- und Jugendhilfegesetzes
  • Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Beeinträchtigung im Bereich Bewegung und Selbstvertretung muss strukturell gesichert werden
  • Stärkung des Sports in den Regelungen der Eingliederungshilfe beim Übergang ins SGB VIII
  • Unterstützung von Familien bei der Organisation und Wahrnehmung von Sportangeboten für ihre Kinder mit geistiger Beeinträchtigung. Wie bei der Schulbegleitung werden insbesondere Assistenzkräfte benötigt, deren Kosten vermögensunabhängig übernommen werden müssen.
  • Sport und Bewegung sind wichtig für ein gesundes Aufwachsen und ein gesundes Leben. Das Recht auf Bewegung und Sport muss auch aus diesem Grund für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit geistiger Beeinträchtigung umgesetzt werden. Die Erfahrungen in der Jugend legen Grundlagen für ein gesundes Leben.  
  • Qualifikation des Personals der Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Verfahrenslotsen

 

6. Bestmögliche Rahmenbedingungen für deutsche Athlet*innen


Seit 2020 konnte die Sportförderung aufseiten von SOD sukzessive erhöht werden, damit SOD auf internationaler Ebene im Sinne der gesamtstaatlichen Repräsentanz eine führende Rolle im Sport von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung einnehmen kann. Die entstandenen Strukturen und Fördermöglichkeiten sind zu verstetigen und weiter auszubauen. Die Sportförderung muss sich dabei im Sinne der UN BRK an der bestehenden Lebenssituation der Athlet*innen mit geistiger Beeinträchtigung ausrichten. Aus diesem Grund bedarf es eines besonderen Blickwinkels auf die Definition von Spitzensport bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.

SOD fordert:

  • Nachhaltige Absicherung und Erweiterung der Strukturen im Rahmen der Sportförderung, um das Team Special Olympics Deutschland dauerhaft weiterzuentwickeln
  • Ausbau der Trainer*innenqualifikationen, um Trainingsbedingungen weiter zu professionalisieren
  • Aufgrund der Lebensbedingungen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bedarf es einer wohnortnahen Förderung sowie der Durchführung von niedrigschwelligen Sichtungsmaßnahmen
  • Ein Sportfördergesetz; welches gesellschaftliche Ziele und die Stärkung der Inklusion beinhaltet sowie die Lebensbedingungen der Athlet*innen mit geistiger Beeinträchtigung berücksichtigt
  • Übergreifende Förderung der Inklusion im Sport aufgrund eines erheblichen Bundesinteresse.
  • Vernetzung der Sportmaßnahmen mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN BRK.

 

7. Inklusives und barrierefreies Gesundheitssystem


Die Ergebnisse des Dritten Teilhabeberichts der Bundesregierung 2021 zeigen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland nach wie vor mehr gesundheitliche Probleme als Menschen ohne Beeinträchtigungen haben und deutlich erhöhte Gesundheitsrisiken aufweisen. Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen Unterstützung, ihre Gesundheit beurteilen und mit ihr umgehen zu können. Von besonderer Bedeutung sind deshalb die Stärkung der Gesundheitskompetenzen sowie der verbesserte Zugang zum Gesundheitssystem.  Darüber hinaus sind im Bereich des professionellen Gesundheitswesens kaum zielgruppenspezifische Präventions- und Gesundheitsförderungsangebote vorhanden.

SOD fordert:

  • Entwicklung von geeigneten Maßnahmen der Gesundheitsförderung im direkten Lebensumfeld – Stärkung der gesundheitlichen Kompetenzen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung durch das Special Olympics Gesundheitsprogramm.  
  • Förderung der digitalen Gesundheitskompetenzen und Abbau von Benachteiligungen in diesem Bereich. Die SOD-Plattform „Gesundheit leicht verstehen“ bietet als zertifiziertes Angebot mit Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum umfassende verlässliche Gesundheitsinformationen in Leichter Sprache. Deren Finanzierung ist dauerhaft abzusichern.
  • Ausbau von Barrierefreiheit in der ambulanten sowie in der stationären Versorgung
  • Der Umgang und die Behandlung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung muss obligat in die Aus-, Fort- und Weiterbildung von (Zahn*) Ärzt*innen und medizinischen Fachpersonal integriert werden. Dabei müssen insbesondere auch Fähigkeiten zur kommunikativen Barrierefreiheit, beispielsweise durch den Einsatz Leichter Sprache, vermittelt werden
  • Umsetzung des gesetzlichen Anspruches auf Prävention in den Werkstätten für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

 

8. Bürgerschaftliches Engagement – Menschen mit geistiger Beeinträchtigung als Gestalter der Gesellschaft


Der deutsche Sport bietet vielfältige Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sind der Zugang zu diesem Angebot und damit ein wichtiger Aspekt der sozialen Teilhabe bisher weitestgehend verschlossen. Individuelle Bildungsangebote und Assistenzleistungen werden benötigt.

SOD fordert:

  • Aufhebung der Regelungen im Bundesteilhabegesetz, dass ausgebildete Fachkräfte Nachrang gegenüber familiären, freundschaftlichen, nachbarschaftlichen oder ähnlichen persönlichen Beziehungen haben. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung benötigen leichter Assistenzleistungen bei der Ausübung eines Ehrenamtes, unabhängig ihres persönlichen Umfeldes
  • Stärkung der Aus- und Fortbildungsangebote, damit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Kompetenzen zur Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit erwerben können
  • Förderung einer inklusiven Engagement Strategie

 

9. Inklusiver Veranstaltungsstandort für alle


Die Special Olympics World Games Berlin 2023 sind ein Best Practice für die gesellschaftliche Relevanz von Sportgroßveranstaltungen und die bundesweit nachhaltige Wirkung; auch zur Stärkung der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Sportgroßveranstaltungen in unserem Land. Die Special Olympics World Games Berlin 2023 haben Standards für zukünftige Sportgroßveranstaltungen gesetzt.

SOD fordert:

  • Fortführung der Nationalen Strategie für Sportgroßveranstaltungen, um insbesondere die nachhaltigen Wirkungen zu stärken und Maßnahmen zu vernetzen
  • Deutschland weiter als inklusiven Veranstaltungsort zu stärken. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollen zukünftig regelmäßig internationale Special Olympics Veranstaltungen in Deutschland stattfinden.
  • Sicherstellung der Zugänglichkeit für alle (Barrierefreiheit, Assistenzleistungen)
  • Inklusion als fester Bestandteil von/ Voraussetzungen für Veranstaltungsförderungen
  • Umsetzung von ganzheitlichen Awareness-Konzepten bei Sportgroßveranstaltungen
  • Inklusive Volunteer Konzepte als Standard

 

10. Teilhabeforschung


Es liegen kaum valide Zahlen zur Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in den unterschiedlichen Lebenswelten im Bereich Bewegung und Sport vor. So ist es z.B. nicht hinnehmbar, dass nach über 25 Jahren empirischer Wende im Schulbereich über die Kompetenzen dieser Gruppe keine systematischen Erhebungen stattfinden und sich auch in den relevanten Jugendstudien wenig finden lässt. Wir benötigen mehr Wissen, um angemessene Maßnahmen zu entwickeln. Im Mittelpunkt muss dabei ein partizipativer Forschungsansatz stehen.

SOD fordert:

  • Teilhabeforschung: Forschungsvorhaben zur validen Erfassung des Organisationsgrades in Vereinen und Organisationen der Behindertenhilfe
  • Berücksichtigung der Personengruppe in allen relevanten Schul- und Jugendstudien
  • Wissenschaftliche Begleitung von Sportlichen Biografien