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Studie: Strahlkraft der Special Olympics World Games Berlin 2023 nutzen

Ein vierköpfiges Team der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport hat das Host Town Program vor einem Jahr wissenschaftlich begleitet. Die Studie zeigt Licht und Schatten auf. Und es werden Empfehlungen für die Zukunft gegeben. Neben dem Interview mit den Verfassern der Studie stellen wir euch auch den Kurzbericht zur Wahrnehmung der Weltspiele zur Verfügung.

„Das Host Town Program hat für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung etwas gebracht“, fasst Wolfgang Ruf die Studie in einem Satz zusammen. Er ist Professor für Sportorientierte Soziale Arbeit an der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport (DHGS) in Berlin und leitete die Studie.

Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen und einem Mitarbeiter seiner Hochschule hat er untersucht, inwieweit dieses Programm sich auf Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ausgewirkt hat. Außerdem haben sie erforscht, ob sich die Einstellung von Personal an Schulen, in Sportvereinen und von Politikerinnen und Politikern gegenüber Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung verbessert hat. Untersucht wurde auch, wie sich Strukturen und Netzwerke, die Inklusion in Städten und Gemeinden fördern, verändert haben.

Das Host Town Program ist ein wichtiger Bestandteil der Special Olympics World Games. Wenige Tage vor den Weltspielen empfangen Städte, Gemeinden sowie Regionen des Ausrichterlandes jeweils eine ausländische Delegation. Dabei erhalten die internationalen Sportlerinnen und Sportler einen Einblick in den Alltag und die Kultur des Gastgebers, trainieren mit einheimischen Special Olympics Athletinnen und Athleten und haben gemeinsam viel Spaß.

Mehr als 200 Städte, Gemeinden und Regionen aus Deutschland beteiligten sich am Host Town Program im Juni 2023 vor den Weltspielen in Berlin. Mehrere Monate bereiteten sie sich auf den Besuch der ausländischen Sportlerinnen und Sportler mit geistiger Beeinträchtigung vor. In dieser Zeit gab es bereits immer wieder inklusive Veranstaltungen wie inklusive Sportfeste in den Host Towns.

Um kurz- und langfristige Effekte des Host Town Programs zu analysieren, haben Professor Ruf und sein Team drei Befragungen in Host Towns und - zum Vergleich - in anderen Städten durchgeführt: drei Monate vor dem Host Town Program, direkt danach und fünf Monate danach.

Dafür wurden Fragebögen für Menschen mit und ohne geistige Beeinträchtigung sowie Leitfäden für Interviews entwickelt. An der ersten Befragung beteiligten sich 583 Menschen, an der zweiten 222 und an der dritten Runde noch 199.

Professor Ruf sieht vor allem auf der gesellschaftlichen Ebene positive Veränderungen. „Wir haben festgestellt, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in den Host Towns weniger bemitleidet und stattdessen auf Augenhöhe wahrgenommen worden sind. Das ist eine gute Entwicklung, die aber verstetigt werden muss“, sagt er.

Auch habe sich gezeigt, dass die Leute in den Host Towns besser Bescheid wüssten über die Fähigkeiten von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung als in anderen Orten. „Das haben wir zu allen drei Befragungszeitpunkten festgestellt. Insofern war die Öffentlichkeitsarbeit vor und während des Host Town Programs sehr erfolgreich“, analysiert der Studienleiter.

Der dritte positive Effekt ist für ihn, dass die Vernetzung der Akteure beim Thema Inklusion in den Host Towns sehr gut funktioniert hat. „Es gibt monatliche Treffen mit Vertretern von Sportvereinen, Behindertenwerkstätten und Schulen, um regelmäßige Veranstaltungen und inklusive Sportfeste zu organisieren. Da hat sich über den Zeitraum etwas Gutes entwickelt“, sagt er.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. „Wir haben keine Veränderungen auf individueller Ebene bei Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung festgestellt. Die Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft und im Besonderen im Sport haben sich während des von uns betrachteten Zeitraums nicht verbessert“, sagt Ruf.

Zwar hätten sich Sportvereine für diese Menschen geöffnet. Doch die Vereine bräuchten mehr Anleitung, um Sportlerinnen und Sportler mit einer geistigen Beeinträchtigung einzubeziehen und Kompetenzen an diese abzugeben, so der Professor.

Mit Blick auf die Zukunft hat das Studienteam eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen für Politik, Sportvereine, Behindertenwerkstätten, Schulen und weitere Interessierte am Thema Inklusion erarbeitet.

„Ganz oben steht für uns das Thema Partizipation von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Wenn etwas Neues geplant wird, dann müssen diese von Anfang an einbezogen werden und später auch Verantwortung erhalten“, erklärt Prof. Ruf. „Wenn ein Fußballverein ein neues Angebot vorbereitet, dann müssen sie schon in der Planungsphase dabei sein und befragt werden, was sie möchten. Ein Ergebnis dieses partizipativen Prozesses kann dann die Anleitung des Trainings in Leichter Sprache sein.“

Eine weitere Empfehlung lautet, die Strahlkraft der Special Olympics World Games 2023 in Berlin weiter zu nutzen. Bundesweit und international gab es eine große Aufmerksamkeit für das Ereignis und es wurde ein positives Bild von Inklusion in der Öffentlichkeit transportiert. Special Olympics Deutschland habe sich mit den Weltspielen ein großes Knowhow erarbeitet, das gerade in der Diskussion um weitere Fördergelder genutzt werden sollte, so Ruf.

Das Studien-Team schlägt außerdem vor, die bestehenden Netzwerke in den Kommunen zu pflegen und sich untereinander auszutauschen. Um inklusionsfördernde Projekte zu initiieren, sollten immer mehr Akteure wie Behindertenwerkstätten, Schulen und Sportvereine einbezogen werden.

„Wichtig ist auch, Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne geistige Beeinträchtigung zu ermöglichen und Einblicke in das Leben des jeweils anderen zu geben. Das ist der beste Weg, um in der Öffentlichkeit Vorurteile abzubauen“, sagt Prof. Ruf.

Notwendig sei außerdem, dass es mehr und ausreichende personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen für die Umsetzung inklusiver Projekte vor Ort gibt. „Das gilt vor allem für den ländlichen Raum. Besonders dort müssen die Ressourcen gestärkt werden“, fordert der Leiter der Studie.

Sein Team hat schon einmal vorgemacht, wie Inklusion in der Realität funktionieren kann. Neben Prof. Wolfgang Ruf gehörten Gabi Gerwins, Karlsson Olberg und Teresa Rymarcewicz dazu. Gabi Gerwins ist lernbehindert und arbeitete gemeinsam mit Karlsson Olberg als Tandem.

Die beiden haben als erstes die Fragebögen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie mit geistiger Beeinträchtigung erarbeitet. Die Aufgabe von Gabi Gerwins war es dabei zu prüfen, ob die rund 20 Fragen für alle verständlich waren. „Manches haben wir dann anders formuliert, damit es die Menschen einfacher verstehen können“, sagt sie. Tandem-Partner Karlsson Olberg ergänzt: „Wir haben insgesamt vier bis fünf Schleifen gedreht und immer wieder überprüft, ob die Texte funktionieren.“

Offenbar mit Erfolg, denn die meisten Papier-Fragebögen kamen ausgefüllt wieder zurück. Dann hieß es für die beiden, die Angaben von rund 350 Fragebögen in das digitale Statistikprogramm zu übertragen. „Das war ganz schön anstrengend“, sagt Gabi Gerwins.

Gemeinsam haben sie außerdem 20 Interviews - meistens in Behindertenwerkstätten - geführt, 15 davon online und die anderen vor Ort. „Dafür haben wir uns einen Stichpunktzettel erarbeitet, den wir dann genutzt haben“, berichtet sie. „Wir haben uns die Fragen aufgeteilt und immer abwechselnd gefragt“, erklärt Karlsson Olberg wie sie vorgegangen sind.

Beide erinnern sich sehr gern an die gemeinsame Arbeit. „Das war sehr gut als Tandem mit Karlsson. Das war das, was ich schon immer gewollt habe und außerdem war es gut bezahlt. Das gab es früher nicht so für mich“, sagt Gabi Gerwins. Karlsson Olberg spricht von einer „tollen Erfahrung“ für ihn. „Ich habe mich mit Gabi auch zwischenmenschlich gut verstanden. Das hat einfach viel Spaß gemacht“, sagt er.
 

Text: Hartmut Augustin

Kurzbericht in Leichter Sprache