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18.03.2025

Eure Spuren werden bleiben

Gekleidet ist er in einer Winterjacke, die Krawatte darf dabei nicht fehlen. Timothy Shriver hält eine beeindruckende Rede. Wie er es bereits 2023 in Berlin getan hat. Die Worte des Chairman of Special Olympics International gehen tief ins Mark, während die Turiner Inalpi Arena 1.500 Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt zur Eröffnungsfeier empfängt. Sie feiern sich, feiern das Miteinander.

Sie hören seinen Worten zu. Hören, was er ihnen, den Zuschauenden und der ganzen Welt zu sagen hat. „I promise you, if you let these athletes rub off on you, your lives will never be the same.“ - Übersetzt: Wenn ihr die Athleten auf euch abfärben lasst, wird euer Leben nie wieder das gleiche sein. 

Als das Scheinwerferlicht auf die Fahne gerichtet wird, ihre Trägerinnen und Träger erleuchtet, konnte Sabrina ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Reka, ihre beste Freundin, hielt ihre Hand, nahm sie in den Arm und fühlte ebenfalls, was die 9.000 Menschen in der Arena fühlten. „Heute sind wir alle eine Welt!“, wie von Shriver kurz zuvor ausgesprochen. 

Vom 8. bis zum 15. März fanden die Special Olympics Welt-Winter-Spiele in Turin und in den Berg-Regionen Sestriere, Bardonecchia und Pragelato statt. Die deutsche Delegation reiste mit 48 Athletinnen und Athleten sowie fünf Unified Partnerinnen und Partnern an. Begleitet von 25 Trainerinnen und Trainern und elf Offiziellen - dem #TeamSOD. Ich durfte die Reise erneut als Fotografin begleiten. Es waren zehn hoch-emotionale Tage, die mit der Gewissheit endeten, am richtigen Ort gewesen zu sein.  

Liebe auf all den Wegen

„Ich bringe dir deinen Kaffee mit.“ Elsa und Oliver feiern heute ihr Sieben-Jähriges und erhalten zum Jubiläum Luftballons, Unity in Stofftier-Version und jede Menge Schokolade. Die von Elsa direkt gerecht aufgeteilt wird. Danach packen sie ihre Koffer und reisen weiter in Richtung Berge. Bei 16 Grad lassen wir Turin hinter uns. Bereit für den Schnee. 

Michael Schade ist Schneeschuh-Läufer. Am frühen Morgen steht der 56-jährige in der Lobby des Hotels. Durch die großen Panorama-Scheiben blickt er auf die schneebedeckten Alpen. Die Sonne erhebt sich allmählich über die Gipfel. Der kleine Ort Sestriere liegt auf 2.035 Meter. Heute ist ein guter Tag dafür, mutig sein Bestes zu geben. Und das tut er. Er läuft und strahlt. Von der Start- bis in die Ziellinie, die in 100 Meter Entfernung liegt. Sein Strahlen trägt er bei der Siegerehrung bis auf das Podium, wo ihm die Silbermedaille um seinen Hals gehängt wird.

Ihr schuldet uns nichts im Gegenzug

„Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das alles zurückgeben kann, was ihr alles für uns macht“, sagt ein sichtlich gerührter Ski-Alpinist Florian Daimer, von allen Flo genannt. Er trägt jetzt seine Medaille um den Hals. „Wenn ich das schaffe, werde ich vor Freude explodieren“, sagte er noch Tage zuvor. 

Die Reise zu den Spielen begann schon vor über einem Jahr. Nach dem Einkleidungs-Treffen in Herzogenaurach folgten Vorbereitungs-Lehrgänge, in denen an Technik gefeilt wurde und in denen aus einzelnen Sportlerinnen und Sportler ein Team wurde. 

Performing Arts

Tom ist Tänzer. Hat damit erst vor Kurzem angefangen. Jetzt liegt er seiner Trainerin Patricia Scharf in den Armen. „Was hast du da gemacht?“, weint sie. „Was hast du da gemacht?“ Eine Umarmung, die nicht enden will. Mit seiner Choreografie hat der Tänzer aus Bayern sein Herz auf der Bühne des altehrwürdigen Palazzo delle Feste gelassen und sich ebenfalls auf das Sieger-Podest gekämpft. 

Für Luisa Brauswetter und ihrer Schwester, Unified Partnerin Elena, ist es die erste Teilnahme an Weltspielen. Nach ihrem Auftritt im Solo verlässt die Dürenerin die Bühne - strotzend vor Selbstbewusstsein - in ihrem blauen, funkelnden Anzug mit Regenschirm in der Hand. „It’s raining men“ von den Weather Girls ist das Lied, zu dem sie getanzt hat. So getanzt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. So erging es ihr auch auf der Anreise nach Italien. Es war ihr erster Flug überhaupt. „Das ist mir zu langsam.“ Luisa, es wird Zeit für die Überholspur. 

„Für meine Mama“

Eine kurze Fahrt entfernt sind die Snowboarderinnen und Snowboarder auf der Piste unterwegs.

Dem eingefleischten Team steht der kräftezerrende Tag ins Gesicht geschrieben. Höchste Zeit für Head Coach „Rapha“ Stäbler die Ergebnisse der heutigen Wettbewerbe zu verkünden. Draußen versammelt er sein Team um sich, der Schnee ist mittlerweile in Regen übergegangen. Die Eiseskälte macht ihnen in diesem Moment nichts aus. 

Jubelnde Gesichter bei Steven, Thomas, Steffi, die allesamt Medaillen mit nach Hause bringen werden. Thomas nimmt seinen ersten Platz mit dem nötigen Coolness-Faktor auf, lächelt kurz, achselzuckend. „Und jetzt zu dir, Michelle.“ Die Snowboarderin wurde erst an diesem Tag vom Level Novice zu Intermediate hochgestuft, der zweithöchsten Kategorie. „Du hast sie abgezogen! Du hast Gold!“ 

Michelle kann es nicht fassen. Sie strahlt, lacht vor Freude, um Sekunden später ihrer Trainerin Franziska Weidner in den Armen zu liegen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. „Für meine Mama!“ 

Für ihre Mama. Der es leider nicht vergönnt war, diese Momente ihrer Tochter mitzuerleben. Sie verstarb im vergangenen Oktober. Michelle trägt sie bei sich. Als kleines Herz aus Holz, den Namen eingraviert. „Die hat mein Vater für mich gemacht.“

Ist es überhaupt möglich, noch mehr zurückzugeben? 

Die deutsche Delegation ist an unterschiedlichen Orten untergebracht. Die Wettbewerbe im Eiskunstlauf, Short-Track und Floorball finden im wunderschönen Turin statt. Die Alpen sind aus der Ferne zu sehen. Eine gute Stunde Fahrtzeit voneinander entfernt stehen sie knietief im Schnee. Hier habt ihr eure Spuren hinterlassen. Auf den Pisten der italienischen Alpen - aber vor allem in den Herzen all derjenigen, die euch auf dem Weg begleitet, trainiert, angefeuert und unterstützt haben. Ihr habt abgefärbt. 

Zum Schluss heißt es warten

Steven sitzt in der Lobby des Hotels in Bardonecchia und wartet mit Steffi, Michelle, Elena und Luisa auf den Transfer nach Mailand. Noch drei Stunden bis zur Abfahrt. Im Hintergrund läuft ein Fernseher, spielt Musikvideos. Mr. Big singt „Oh Baby, baby it’s a wild world.“ Steven singt leise mit. Die anderen steigen mit ein, summen die Melodie. Die Welt hat euch gesehen. Lasst sie es weiterhin. Lasst sie so werden, dass Reka Schatz nie wieder erzählen muss: „Ich bin bei zwei Einrichtungen nicht genommen worden, weil man dort nicht wusste, wie man mit Menschen wie mir umgehen sollte. Ich habe das Down-Syndrom, aber ich bin doch trotzdem ein normaler Mensch und möchte als Erzieherin arbeiten.“ Morgen findet ihre Zwischen-Prüfung statt. 

Ich saß neben ihr, musste den Frühstückstisch dann kurzzeitig verlassen. Zum Glück ist Athlet Hans Bohnen immer da, wenn man ihn braucht. Er sieht dich und in diesem Moment weißt du, was passieren wird - er läuft auf dich zu, um dich zu umarmen. „Stell erst beide Tassen hin, lieber Hans. Ich laufe dir nicht davon.“ Denn diese Umarmung war nötig. 

Ebenso wie jene am Flughafen. In Düsseldorf nimmt Michelles Vater seine Tochter in Empfang. Mit einem Strauß Blumen in der Hand schließt er seine Tochter fest in seine Arme. Erneute Tränen - jede einzelne erzählt ihre Geschichte einer unvergesslichen Reise. 

Bericht und Foto: Sarah Rauch / SOD

Video: Das waren die Special Olympics Welt Winter Spiele in Turin

Video: Die besten Momente der Special Olympics World Winter Games 2025