„Der Geist der Weltspiele in Berlin ist noch greifbar“
Der Geist der Special Olympics World Games Berlin 2023 ist auch ein Jahr nach dem Sportgroßevent noch greifbar – doch die Blicke sind jetzt nach vorn gerichtet, um der Inklusion weiter in die Mitte der Gesellschaft zu verhelfen. „Wir wollen auf jeden Fall in den nächsten Jahren ganz stark daran arbeiten, dass noch viel mehr Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Zugang zum Sport erhalten“, skizziert Sven Albrecht, Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland und CEO der Weltspiele vom letzten Jahr, die Aufgaben für die kommenden Jahre.
Durch die Spiele vom 17. bis zum 25. Juni vergangenen Jahres ist der inklusive Sport gewachsen, aber hat noch viel Luft nach oben. Acht Prozent der Athletinnen und Athleten mit geistiger Beeinträchtigung sind im organisierten Sport registriert. „Mittelfristig wollen wir die 16 Prozent erreichen. Wir haben bei den Mitgliedern Zuwachs. Wir merken auch, dass mehr Athletinnen und Athleten einzeln sich melden und fragen, wo sie Sport treiben können. Auch die Basis der Mitgliedseinrichtung und Vereine steigt stetig, aber nicht so schnell, wie wir uns das erhoffen, um mittelfristig die Zahl von 16 Prozent zu erreichen“, sagt Albrecht, „zum Vergleich: Bei Kindern und Jugendlichen ohne Beeinträchtigung sind über 35 Prozent im organisierten Sport aktiv. Deswegen sehe ich die Zahl von 16 Prozent auch nicht als zu ambitioniert an, sondern als Notwendigkeit. Das ist auch für uns als Organisation die Motivation.“
Unterstützung erhält der ehemalige Leistungsturner aus Teilen der Politik, Kultur und natürlich auch vom Sport selbst. „Durch die Bedeutung der Special Olympics World Games als größte inklusive Sportveranstaltung der Welt hat sich für Berlin ein enormes Potenzial ergeben, Inklusion in der Stadt dauerhaft zu stärken und sich als internationale und inklusive Sportmetropole zu etablieren“, sagt Sportsenatorin Iris Spranger. Das Berliner Nachhaltigkeitsprogramm „Inklusion 23“ fördert 14 Projekte, um in verschiedenen gesellschaftlichen Bereich Barrierefreiheit und nachhaltig inklusiven Angebots-, Infra- und Kommunikationsstrukturen zu schaffen.
Auch der Landessportbund Berlin (LSB) hat bedingt durch die Weltspiele einen viel schärferen Fokus auf den inklusiven Sport gelegt und merkt auch bei Veranstaltungen eine sensiblere Aufmerksamkeit gegenüber beeinträchtigten Sportlerinnen und Sportlern. „Es werden eindeutig mehr inklusive Sportangebote angeboten. Dennoch ist die Nachfrage noch höher als das Angebot. Aber, die Weltspiele haben den Weg bereitet, auch da erfolgreiche Vereinsarbeit zu etablieren“, sagt LSB-Präsident Thomas Härtel, „die Vereine sind sensibilisierter und engagierter im Bereich Inklusion. Sie melden Trainerinnen und Trainer zu Qualifizierungsmaßnahmen wie Fortbildungen für Übungsleiterinnen und Übungsleiter sowie Vereinsmanagerinnen und Vereinsmanager an und haben neue inklusive Sportgruppen gegründet.“
Das größere Interesse ist auch ein Erfolg des Gastgeberprogramms Host Town Program, das Monate vor dem Beginn der Weltspiele ins Leben gerufen wurde. Mehr als 200 Kommunen und Städte hatten sich mit speziellen Projekten dem inklusiven Sport angenähert und zudem vor dem Start der World Games in Berlin Delegationen aus den verschiedenen Nationen aufgenommen. „Die Vereine, die neu dazugekommen sind, stammen hauptsächlich aus dem Host Town Program“, sagt Albrecht. Zudem sei das Gastgeberprogramm noch immer in die Dachkampagne #ZusammenInklusiv eingebunden, „in der wir verschiedene Projekte durchgeführt haben. So haben sich mit Unterstützung der Stiftung „Aktion Mensch“ Sportvereine geöffnet, um mehr Athletinnen und Athleten in den Sportverein zu bringen. Über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben wir sogenannte Teilhabeberatende aus- und fortgebildet, die vor Ort ihre eigenen Interessen vertreten und auch beratend zur Seite stehen, um zu strukturieren, was vor Ort benötigt wird.“
Gerade durch diese Projekte spüren die Verantwortlichen laut Albrecht „ganz klar den Rückenwind, dass sich in den Kommunen etwas tut und auch mehr Zugänge geschaffen werden.“ Allerdings gibt es in Deutschland rund 10 000 Kommunen, davon sind bisher über 200 eingebunden gewesen. „Deswegen wissen wir, was die nächsten Schritte sind“, sagt Albrecht über die Einbindung interessierter Vereine in den restlichen 9800 Kommunen.
Wie der LSB begleitet auch Special Olympics Deutschland die Vereine, die inklusiven Sport in ihr Programm aufnehmen möchten und wofür gewisse Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Zum einen müssen die Athletinnen und Athleten überhaupt den Sportplatz erreichen, der natürlich barrierefrei sein sollte. Für viele Sportbegeisterte sei das das erste Hemmnis, um überhaupt Sport treiben zu können. „Da ist zum einen unsere Erfahrung bei Aus- und Fortbildung für die Trainer und auch für die Vereinsvorsitzenden gefragt, die wir über unsere Akademie regelmäßig anbieten“, sagt Albrecht, „zum anderen müssen gute Kooperationen zwischen dem Sportverein und den Organisationen der Behindertenhilfe aufgebaut werden. Die Organisation der Behindertenhilfe kann immer sehr gut in Richtung Transportassistenz unterstützen, der Sportverein hat die Kompetenz in der Sportart. Wenn man das zusammenbringt, dann sind das eigentlich häufig die Erfolgsgeschichten, die vor Ort stattfinden und dann haben wir auch gute Rahmenbedingungen, dass der Sport durchgeführt werden kann.“
Dass genügend Erfahrung von Special Olympics Deutschland auch auf anderen Gebieten vorhanden ist, zeigt das Interesse anderer Nationen, die demnächst selbst Spiele ausrichten werden oder ausrichten möchten. „Wir sind in enger Abstimmung mit den Organisatoren der Winterspiele 2029 in der Schweiz. Wir haben diverse Austauschformate schon mit den Organisatoren der Special Olympics World Games in Chile gehabt.
Insbesondere mit der Präsidentin, die dort die Treiberin ist. Dort werden wir auch eine enge Kooperation weiter eingehen, wir sind gerade in der Abstimmung. Auch das ist der Geist der Spiele, dass nämlich diese nachhaltige Wirkung alle sehen und man das gerne übertragen möchte“, sagt Albrecht, „und es gibt schon zwei, drei andere Interessenten - die Namen darf ich jetzt nicht nennen - die zukünftig auch gerne Ausrichter von Weltsommerspielen werden wollen. Die Interessenten sind bereits mit uns in Kontakt und wollen lernen.“
Darum geht es eigentlich schlussendlich“, sagt Albrecht, der aber schon eine andere Wahrnehmung von Special Olympics und den Athletinnen und Athleten festgestellt hat: „Das haben wir auch bei den Nationalen Winterspielen in Thüringen, die im Januar stattgefunden haben, gespürt. Auch bei den Landesspielen in Nordrhein-Westfalen findet eine ganz andere öffentliche Wahrnehmung statt. Die Athletinnen und Athleten werden dadurch dauerhafter wahrgenommen und zudem werden ihre Geschichten erzählt, was sie leisten können. Wir brauchen immer wieder die Scheinwerfer der Veranstaltungen. Deswegen ist es uns auch so wichtig, im Alltag noch breiter zu wirken, weil genau dieses Erlebnis, was man bei einer Veranstaltung punktuell hat, man bestenfalls dauerhaft im Vereinsleben vor Ort haben kann. Den Schritt müssen wir noch gehen.“
Sorgen bereiten dem Geschäftsführer „bestimmte gesellschaftliche Kräfte. Wir stellen uns mit ganz großer Kraft gegen Diskriminierung und gegen Ausgrenzung. Wir hatten gerade eine Situation in Mönchengladbach, bei der voraussichtlich ein vermeintlicher Anschlag auf eine Einrichtung stattgefunden hat. Deswegen kann ich nur sagen, dass wir sehr laut und sehr aktiv bleiben, dass diese Gesellschaft so bunt und vielfältig bleibt wie sie ist. Das ist auch ein Auftrag für uns.“
Großes Foto: Einlauf der Deutschen Delegation zur Eröffnungsfeier der Special Olympics World Games Berlin 2023 ins Olympiastadion; Leichtathletin Heidi Kuder (m) führt das TeamSOD an. Credit: SOD / Annegret Hilse