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06.06.2024

Gesellschaft soll wahrnehmen, was Menschen mit Beeinträchtigung leisten

Vor einem Jahr reiste eine Delegation um Sven Albrecht und Natascha Wermelskirchen nach Athen. Eine emotionale und wichtige Reise auf dem Weg zum größten inklusiven Sportevent weltweit für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung. Am 7. Juni 2023 wurde die Special Olympics Flamme ‘Flame of Hope‘ an den CEO der Weltspiele Berlin 2023 und Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland und die Torhüterin der Special Olympics Fußball-Nationalmannschaft überreicht und nach Berlin gebracht.

Am 17. Juni wurde diese Flamme feierlich im Berliner Olympiastadion entzündet und die Special Olympics World Games Berlin 2023 damit eröffnet. Die darauf folgenden neun Tage voller Sport, Begegnungen und Emotionen begeisterten nicht nur Berlin, sondern ganz Deutschland und zeigten einmal mehr die Kraft des Sports und wie gleichberechtigte Teilhabe gelingen kann.

Ein Jahr nach dem inklusiven Sommermärchen blickt die Torhüterin aus Mönchengladbach gemeinsam mit Sven Albrecht auf die Weltspiele von Berlin zurück und nach vorne.
 

Die Special Olympics World Games liegen fast ein Jahr zurück. Wie häufig denken Sie noch an die Spiele?

Natascha Wermelskirchen: Ich denke immer an die World Games wenn ich auf einem Turnier, wie zum Beispiel den Landesspielen in NRW bin. Da sehe ich auch andere Athleten, die auch bei den World Games waren. Und ich werde immer mal wieder auf die Spiele angesprochen.

Sven Albrecht: Dieses Erlebnis hat die Athletinnen und Athleten sowie die Gesamtorganisation unglaublich zusammengeschweißt. Zudem wurde der Glaube in die Organisation noch einmal verstärkt im Hinblick, was wir eigentlich gemeinschaftlich leisten können. Das ist ein großer Geist.
 

Was war für Sie am schönsten?

Wermelskirchen: Alles! Die anderen Mannschaften, die Spiele selbst. Ich konnte neue Freunde gewinnen, zu denen ich auch heute noch Kontakt habe. Besonders gut hat mir die Eröffnungsfeier gefallen. Die gucke ich immer gerne noch auf Youtube an.

Albrecht: Das gemeinschaftliche Erlebnis in Berlin hat nicht nur die Athletinnen und Athleten geprägt, sondern auch eine Aufmerksamkeit für unseren Sport erhöht, die weit über Deutschlands Grenzen hinaus wirkt. Deswegen sind auch in der Gesamtorganisation die Weltspiele in Berlin als tolles, gemeinschaftliches und erfolgreiches Erlebnis noch ganz stark spürbar.


Hat sich Ihr Alltag durch die Spiele verändert?

Wermelskirchen: Nein, es geht normal weiter. Ich gehe arbeiten, gehe Fußballspielen und mache das, wozu ich Lust habe.
 

Hat die Marke Special Olympics durch die Weltspiele ein besseres Standing erhalten?

Albrecht: Ja, ich glaube in Deutschland definitiv auch durch die hohe öffentliche Wahrnehmung. Die Menschen haben einfach gesehen, welche Authentizität unser Sport hat und wofür die Sportlerinnen und Sportler stehen: Dieses Miteinander, dieses Gemeinschaftsgefühl, aber auch diese Offenheit. Gerade in schwierigen Phasen, in denen sich unser Land im Moment auch befindet, ist gerade dieses Gemeinschaftsgefühl wahrgenommen worden. Und das ist nicht nur national, sondern auch weltweit wahrgenommen worden, dass hier ein globales Event stattfindet, welches unter den Major Sport Events zu den Top 5 gehört.
 

Haben Sie durch die Spiele ein besseres Selbstbewusstsein erhalten?

Wermelskirchen: Ja schon, allerdings hat es mir nie an Selbstbewusstsein gefehlt.
 

Werden Sie im Verein besser wahrgenommen?

Wermelskirchen: Ich spiele schon lange im Verein. Da ich oft im Trikot von der Deutschen Delegation trainiere, werde ich natürlich immer wieder angesprochen. Meine Mannschaftskameradinnen sind neugierig, wann die nächsten Spiele sind, oder wie wir bei anderen Turnieren wie Landesspielen abschneiden.
 

Gibt es bedingt durch die Weltspiele ein größeres Interesse von Vereinen am inklusiven Sport?

Albrecht: Ja, es gibt Interesse. Gemeinsam mit den Landesverbänden wollen wir daran arbeiten, Vereine zu begleiten. Wir benötigen aber auch die politische Unterstützung auf Landesebene, um vor Ort über Kooperationen zwischen Vereinen und Einrichtungen der Behindertenhilfe mehr inklusive Angebote zu schaffen.
 

Fühlen Sie sich im Berufsleben besser? 

Wermelskirchen: Ich fühle mich sehr wohl bei meiner Arbeit. Die Spiele haben das nicht verändert.
 

Was muss für geistig oder mehrfach Beeinträchtigte noch mehr getan werden?

Wermelskirchen: Es wäre gut, wenn mehr Bilder oder Piktogramme verwendet würden. Ich kann nicht gut lesen und Informationen zu bekommen, ist nicht immer leicht für mich. Auch würde es mich freuen, wenn die Gesellschaft mehr wahrnehmen würde, was Menschen mit Beeinträchtigung alles leisten. Im Moment hört man viel, dass die Werkstätten abgeschafft werden sollen. Ich finde, dass jeder dort arbeiten sollte, wo er will. Die Werkstatt ist genauso wichtig wie der allgemeine Arbeitsmarkt. Beides sollte es geben.

Albrecht: Wir wollen auf jeden Fall in den nächsten Jahren ganz stark daran arbeiten, dass noch viel mehr Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Zugang zum Sport erhalten. Mit dem Host Town Program der Weltspiele und den kommunalen Netzwerken haben wir eine tolle Möglichkeit geschaffen. Aber nichtsdestotrotz muss man sagen, dass nach wie vor einfach zu wenig Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Sport treiben, dass der Sportunterricht in den Schulen verbessert werden muss, dass mehr inklusiver Sportunterricht angeboten werden muss. Die Sportvereine haben sich auf den Weg gemacht. Aber natürlich noch nicht in der Breite, die wir brauchen. Deswegen waren die Weltspiele sehr hilfreich, diesen Rückenwind zu bekommen. Aber die Arbeit wird jetzt Jahre anhalten.

Das Interview führte Thomas Flehmer.

Foto: 
Sven Albrecht (l) überreicht die Flame of Hope im Tempel Zappeion in Athen an die erste Läuferin auf dem Weg zu den Weltspielen Berlin 2023 Natascha Wermelskirchen (M)

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