„Nach dem ersten Inklusionsturnier war das Eis im Verein gebrochen“
Markus Stein und Marco Gipser engagieren sich in Sachsen-Anhalt für Inklusion in ihren Sportvereinen. Sie haben viele schöne Momente erlebt - und Herausforderungen.
„Die sind doch komisch. Wie sollen wir mit denen spielen?“ Markus Stein erinnert sich noch gut an die skeptischen Fragen in seinem Verein, ob Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung Fußball spielen können. Inzwischen kann der 28-jährige darüber nur noch müde lächeln: „Ja, die können das!“
Er sagt, dass das erste Inklusionsturnier im Oktober 2021 in Cochstedt in Sachsen-Anhalt das Eis in seinem Verein gebrochen habe. Inzwischen trainieren bei ihm etliche Menschen mit geistiger Beeinträchtigung aus dem benachbarten Schneidlingen Fußball. Die Klusstiftung betreibt dort eine Förderschule und Wohneinrichtungen.
Markus Stein ist Abteilungsleiter Fußball des SV Cochstedt 1930 und ehrenamtlicher Inklusionsbeauftragter des Fußballverbandes Sachsen-Anhalt (FSA). „In den Vereinen geht die Zahl der Spielerinnen und Spieler zurück. Auch deshalb ist es wichtig, inklusive Sportangebote zu schaffen, damit die Vereine eine gute Zukunft haben“, sagt er.
Anfang Oktober hat der FSA den ersten Trainerlehrgang „Inklusions- und Handicap-Fußball“ veranstaltet. Die Resonanz war gut. Ziel war es, die Vereine zu beraten und ein Netzwerk mit Behindertenwerkstätten und -schulen, Sportvereinen und Special Olympics Deutschland aufzubauen.
„Wenn alle besser voneinander wissen, dann ist mehr Inklusion möglich“, sagt Markus Stein. Er plant für Sachsen-Anhalt in der Zukunft eine Reihe von Turnieren zu veranstalten, um den Inklusionsgedanken zu vertiefen: „Das können Jedermanns-Turniere und Werkstattturniere oder einfache inklusive Spielrunden sein.“
Derzeit gibt es in seinem Bundesland „eine Handvoll von Fußballvereinen“ in denen Inklusion gelebt wird. Er ist sich ganz sicher, dass da noch viel mehr geht. Für 2024 ist der erste Schiedsrichterlehrgang für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung geplant, in Kooperation mit den Fußballverbänden und Special Olympics aus Thüringen und Bayern.
Unterstützung bekommt Markus Stein von Georg Melzer, Projektkoordinator „Wir gehören dazu - Menschen mit geistiger Behinderung im Sportverein“, gefördert von der Aktion Mensch Stiftung bei Special Olympics Sachsen-Anhalt. Wenige Wochen nach den Special Olympics World Games in Berlin hat er ein Fortbildungsangebot für Trainerinnen und Trainer mit dem Titel „Inklusiven Sport erleben“ für sein Bundesland organisiert. Dazu gehörte ein Theorie- und ein Praxismodul. Die Theorie wurde in einer Digitalkonferenz besprochen. Die Praxis konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ende September während der Landesspiele Special Olympics Sachsen-Anhalt in Weißenfels erleben.
Vor vier Jahren kamen 300 Sportlerinnen und Sportler zu den Landesspielen, in diesem Jahr waren es bereits 600. Frank Diesener, Präsident Special Olympics Sachsen-Anhalt, ist mit der Resonanz sehr zufrieden. Er möchte gern den Schwung der erfolgreichen Weltspiele in Berlin 2023 für mehr Inklusion in seinem Bundesland nutzen.
„Wir hatten acht Städte und Regionen, die als Host Town internationale Gäste vor den Spielen aufgenommen haben. Besonders mit ihnen werden wir weiter am Thema Inklusion arbeiten“, sagt er. Sein erstes Ziel seien 30 inklusive Vereine in Sachsen-Anhalt: „Das wäre schon gut.“ Er möchte gern „Stützpunkte in diesen Vereinen entwickeln und von dort in die Fläche gehen“. Neben viel gutem Willen ist dafür aber ebenso eine angemessene Finanzierung nötig. „Derzeit leben wir von einer Projektförderung. Wir brauchen aber eine Grundförderung, um den Gedanken der Inklusion besser verankern zu können“, sagt Diesener vor allem in Richtung Landesregierung Sachsen-Anhalt.
Der Universitätssportverein Halle (USV) hat schon etliche Erfahrungen mit dem Thema Inklusion sammeln können. In mehreren Abteilungen trainieren Sportlerinnen und Sportler mit einer geistigen Beeinträchtigung. An der Spitze des Vereins steht Andreas Silbersack, der ebenfalls Vizepräsident Special Olympics Deutschland ist.
Vor zehn Jahren hat die Abteilung Floorball des USV angefangen, Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung einzubeziehen. „Das war eher Zufall“, sagt Floorball-Trainer Marco Gipser. Er erinnert sich noch gut an die Anfrage der Förderschule des Lebens „Helen Keller“, ob er nicht Lust hätte, ein Training in deren Sporthalle zu organisieren. Floorball sei leicht zu lehren und zu lernen, sagt Marco Gipser. Er hat mit 12 Kindern begonnen und diese dann jahrelang trainiert.
Als die Jugendlichen die Schule verlassen haben, wollten sie aber weiter Sport treiben. Und so gibt es seit 2021 mehrere inklusive Floorball-Gruppen und eine Special Olympics Gruppe im USV Halle. „17 von 200 Floorballerinnen und Floorballern haben eine geistige oder körperliche Beeinträchtigung“, sagt Marco Gipser. Das Training ist für sie auf eine Stunde verkürzt.
Auf dem Übungsplan steht neben Sport auch Lebenshilfe. „Wir üben mit den Sportlerinnen und Sportlern den Weg zum Training und fahren gemeinsam Straßenbahn. Die Sporthalle ist zentral gelegen und so gut erreichbar. Einen Fahrdienst brauchen wir nur für die Neuen“, erklärt Marco Gipser.
Dem 38-Jährigen gefällt die Ehrlichkeit seiner Schützlinge. „Es sind schöne Momente für mich, die Freude zu sehen, aber genauso die Direktheit, wenn etwas nicht gefällt. Die Arbeit mit Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung ist für mich Alltag geworden“, sagt er. Laut Marco Gipser plant der USV Halle als nächstes inklusive Angebote für Handball, Tischtennis und Boccia.